Mittwoch, 31. August 2011

Vulkanausbruch 1. Teil

Prolog


Tagebuchauszug:                                                          03.05.2008 00:38
Ein langer Tag liegt hinter uns. Mit Staunen stelle ich fest, dass Mitternacht schon vorbei ist.
Wir haben gerade einen Rucksack gepackt mit warmen Klamotten, Anorak, Autopapieren und unser gesamtes Bargeld. Die Gummistiefel und der Rucksack stehen draußen an der Haustür bereit…alle Hindernisse auf dem Weg zur Tür sind beseitigt, falls wir kein Licht auf der Flucht haben. Es sind nun fast 24 Std. vergangen, seit der Vulkan Chaiten ausgebrochen ist. 

Gegen Mittag war der weiße „Pilz“ im Süden über den Berggipfeln in den strahlend blauen Himmel aufgestiegen. In weniger als 12 Stunden war dies der zweite Ausbruch des Chaiten. Als dunkelblaue Zunge schob sich die Aschewolke über den wolkenlosen Herbsthimmel auf uns zu. 
Wir saßen auf einem Baumstumpf auf einer Anhöhe mit weitem Blick ins Land hinaus und beobachteten beklommen wie es immer dunkler und kühler und schliesslich sehr kalt wurde und einige Berge allmählich hinter einer bläulichen Wand verschwanden. „Stelle dir vor“, sagte Alejandro, „was wäre, wenn diese Wolke giftigen wäre. Was würden wir dann machen?“


Erste Aschewolke zieht über uns weg. 14.30 Uhr
Beim Mittagessen hörten wir im Radio den Aufruf, sich mit Trinkwasser zu versorgen. Wir ließen die halb vollen Teller stehen und fuhren mit dem Auto die 20 km von der Farm, auf der wir einhüten, in die Stadt. Wir kauften mehrere Kanister Trinkwasser, tankten für alle Fälle den Wagen voll, und bevor wir wieder auf die Farm zurückkehrten, hielten wir an unserem eigenen Haus an, um etwas Gemüse und Salat aus dem Garten mitzunehmen. Inzwischen war der Himmel wieder strahlend blau.


Die zweite Aschewolke zieht auf uns zu. 17.30 Uhr
Abends hörten wir im Radio, dass alle Bundesstraßen südlich unserer Stadt wegen dem starken Aschenregen, der inzwischen über weite Landstriche – nur 40 km von uns -niederging, gesperrt worden waren. Es wurde empfohlen, alle Brunnen und Wasserbehälter abzudecken. Auf der Farm sind wir auf das Wasser aus einem Sumpf oberhalb des Hauses angewiesen. Sollte die Asche auch hierher kommen, konnten wir eine Verseuchung unseres Wassers nicht verhindern. Vorsichtshalber füllen wir alle erreichbaren Eimer, Töpfe, Schüsseln und Kannen mit Wasser.
Kurz vor dem Schlafengehen saßen wir noch bei einer Tasse Tee beieinander und ließen die Tagesereignisse an uns vorüberziehen, als plötzlich ein Grollen und Knattern zu hören war. Wir stürmen ins Freie. Das Grollen und Knattern kommt näher und näher, wird lauter, scheint schließlich von überall her zu kommen, ja als käme es aus der eigenen Brust… Wir halten uns gegenseitig fest und schauen zum sternenübersäten Himmel hinauf, zittern in der frostigen Nachtluft und das nicht nur wegen der Kälte.  
Als wir wieder ins Haus zurück gingen, packten wir unsere Klamotten und die Anoraks in einen Rucksack…und alle Hindernisse sind beiseite geräumt, so dass wir auch im Dunkeln fliehen und uns im Notfall draußen anziehen können. Falls die Erde bebt – heute Nacht.
05.05.2008 abends
Die vergangenen Tage verliefen für uns normal. Allerdings wurden im Radio immer wieder Verhaltensregeln durchgegeben für den Fall, dass auch über unsere Stadt Ascheregen kommen würde. Heute war ich schon früh morgens allein in die Stadt gefahren und hatte den ganzen Montag mit allerlei Besorgungen zugebracht und immer noch blieb sehr viel zu erledigen. Außerdem hatte ich Probleme mit dem Auto. In der Werkstatt wurde mir gesagt, dass erst in drei Tagen ein Termin frei sei. So beschloss ich, mehrere Tage in unserem Haus in El Bolson zu bleiben. Alejandro kam auf der Farm auch ohne mich aus.
06.05.2008 gegen 11 Uhr
Die Liste meiner heutigen Verpflichtungen war lang. Normalerweise stelle ich mein Fahrzeug irgendwo in der Stadt ab, und mache alle Wege zu Fuß. Heute jedoch, obwohl ich befürchtete, dass mein Wagen liegen bleiben würde, wollte ich nicht riskieren, zu Fuß von der Asche überrascht zu werden und fuhr alles mit dem Auto. 
Schon seit dem frühen Morgen lag nämlich ein merkwürdiger, sehr dichter Dunst über der Stadt, der im Süden teils blau teils gelb gefärbt war und man konnte selbst die Hügel, die innerhalb der Stadt liegen, nicht mehr sehen. Es roch scharf nach Schwefel. Trotzdem tat jedermann auf der Straße so, als sei alles ganz normal wie immer. Ich jedenfalls beeilte mich sehr und beobachtete ständig diesen Dunst, der sich unaufhaltsam über uns verdichtete und sich von Süden her wie eine Wand auf uns zuschob.
Plötzlich schien es zu schneien. Ich erreichte gerade noch das Auto. Schnell fuhr ich heim. Mir saß ein riesengroßer Kloß im Hals…




Vulkan Chaiten:

So sicher ist unsere Sicherheit

Fast täglich erfahren wir aus den Medien von irgendwelchen Katastrophen. „Selbstverständlich“ betrifft es immer die anderen und passiert meist fern von unserer persönlichen Welt. Unser Interesse und unsere Betroffenheit überdauern meist die nächste Neuigkeit nicht.
Diese Katastrophe, von der ich hier erzähle, kann nicht einmal mit Toten aufwarten. Sie hat die Welt nicht erschüttert. Hätte ich davon in irgendeiner Zeitung gelesen, hätte ich wahrscheinlich gar nicht weiter darüber nachgedacht. Aber dieses Mal waren es nicht nur Nachrichten von Dingen, die weit fort geschahen; von Menschen, mit denen wir nichts zu tun hatten; die fassungslos waren  über das, was über sie herein gebrochen war, die weinten, über alles das, was sie zurücklassen mussten; diesmal hatte es auch uns getroffen, mitten hinein in unsere kleine Alltagswelt. Ihr Schmerz, ihre Angst, ihre Ratlosigkeit war dieses Mal auch die unsere.
An einem strahlend blauen Herbsttag hatte sich der Himmel plötzlich verfinstert und nachts rumorte und zitterte die Erde. Seit jenem Tag packen wir jeden Abend unsere Kleider zu einem Bündel, griffbereit neben der Tür; eine Tasche mit den wichtigsten Papieren bleibt immer im Auto und nur wenige Nächte haben wir seitdem durchgeschlafen.

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