Mittwoch, 31. August 2011

Vulkanausbruch Teil 2 : Nichts wie weg...

Nichts wie weg...

Hunderttausende in Chile und Argentinien werden noch jahrelang auf die eine oder andere Art die Folgen des Ausbruchs des Vulkans Chaitén (Chile) verspüren. Viele Menschen sind ungleich mehr betroffen als wir, die Bevölkerung von El Bolsón (Argentinien), und doch hat sich auch für uns am 2. Mai 2008 das Leben völlig unerwartet verändert.

Chile: Kurz nach dem Ausbruch des Vulkans Chaiten.


Nach 10 000 Jahren Schlaf…

brach die Erde auf und die 5000 Einwohner der chilenischen Stadt Chaitén, nur 10 km vom Vulkan entfernt, verloren alles, als sie am 4. Mai Hals über Kopf den Ort verlassen mussten. In Minuten mussten sie alles, was sie sich erarbeitet hatten und was Ihnen am Herzen lag, was ihr Leben ausmachte, zurücklassen. Über 1000 Katzen und Hunde, unzählige Hühner, Pferde, tausende Rinder und Schafe blieben sich selbst überlassen und viele gingen schließlich zu Grunde.
Die ersten Tage nach dem Ausbruch war unsere ach so heile Welt nur etwas angekratzt,  – noch waren es die „Anderen“, die unter dem Ascheregen kaum atmen konnten. Selbstverständlich taten uns die Betroffenen sehr leid, und sie waren den ganzen Tag in unseren Gedanken. Selbstverständlich machte ich mir besondere Sorgen um unsereFreunde und Glaubensgeschwister in der Stadt Esquél. Mehrere Zentimeter Asche, die der Vulkan über 25 Kilometer hoch in
den Himmel schleuderte, bedeckten bereits die Stadt und weite Landstriche. Selbstverständlich hatten wir im Grunde gar keine Ahnung, was es wirklich bedeutete… bis am fünften Tag des Vulkanausbruchs der Wind die Asche auch in unsere Stadt brachte.

In kürzester Zeit war alles bedeckt mit dieser rauen, weißen Schicht, die unser Trinkwasser ungenießbar und die Luft zum Atmen untauglich macht , alles rosten lässt, unsere Haut und unsere Augen reizt. Die Bevölkerung wurde über Radio gebeten, die Häuser nur im Notfall zu verlassen, und dann nur mit Atemmaske und Schutzbrille, die Haut sorgfältig bedeckt. Wir sollten alle Behälter mit Trinkwasser füllen, denn ab Mitternacht würde unser Wasser verseucht sein. Niemandem war klar, was damit auf uns alle zukam, wie wir damit umzugehen hatten; es herrschte völlige Verwirrung auf allen Seiten.
Nichts wie weg…

Jeder Mensch hat seine ihm eigene Art, wie er die Dinge erlebt. Ich war zu jenem Zeitpunkt vollkommen allein und auf mich gestellt, fühlte mich hilflos preisgegeben. Ich wollte nur weg aus der Stadt, weg von dem leise rieselnden Staub, weg aus der Stille, die mich zu ersticken drohte. Ich wollte zu meinem Mann, der sich 25 km außerhalb auf der Farm befand, auf der wir zurzeit arbeiten und leben.
Futaleufu (Chile): Es ist ja so wenig, was sie mitnehmen können.

Ich war in jenen Tagen in unserem Haus in der Stadt, weil ich Besorgungen zu machen hatte, und wir einen Wasserrohrbruch vor dem Haus hatten, außerdem das Auto dringend in die Werkstatt musste. Sollte ich die Fahrt trotzdem riskieren? Und wenn ich mit dem Wagen liegen blieb? Obendrein hatte ich keinen Schlüssel für die Einfahrt der Farm. Ich hätte die 300 Meter vom Tor zum Haus zu Fuß gehen müssen, ungeschützt, und ich hatte keine Ahnung, wie ich alles antreffen würde. Obwohl es auf jeden Fall vernünftiger war zu bleiben, verbrachte ich Stunden damit, fieberhaft zu überlegen, was ich tun soll. Alles in mir war auf der Flucht.
Die Stunden krochen dahin, während ich ziellos im Haus umhergeisterte; treppauf, treppab; 
mich hierhin und dorthin setzte; 
zwischen den geschlossenen Fensterläden auf die stummgewordene Welt hinaus lugte;
mich an den Schreibtisch hockte, um Unterlagen zu ordnen und doch keine Sekunde einen klaren Gedanken fassen konnte; 
immer wieder zum Telefon griff und 
dann doch keine Nummer wählte, weil die Lieben in der Ferne meine Lage eh nicht verstanden hätten ( ich kapierte sie ja selber nicht); 
unentwegt stumm, laut oder leise betete; 
mir tausend Mal vor Augen hielt: „Glaub nur feste, dass das Beste über dir beschlossen sei…“; 
pausenlos grübelte, warum gerade jetzt das Auto streiken musste und mir die Werkstatt erst in drei Tagen einen Termin geben konnte; warum gerade jetzt die Wasserzufuhr zu unserem Haus unterbrochen war und ich noch nicht einmal verschmutztes Wasser hatte; warum ich gerade jetzt in der Stadt und so furchtbar allein war.
Fort, nur fort von hier! 
Aber wie und wann?
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