Mittwoch, 31. August 2011

Vulkanausbruch Teil 6: Wieder daheim...

Wieder daheim

Der liebe Gott hat seine Hand über uns gehalten. Wir trafen alles gut an, als wir am neunten Tag wieder heimkamen. In unserem Haus musste zwar alles mehrmals nass geputzt werden, um den Staub zu binden. Aber ich darf sagen, dass nicht allzu viel Dreck eingedrungen war. Ein kleines Wunder bei der südamerikanischen Bauweise, wo die Häuser stets auf Durchzug stehen und es während unserer Abwesenheit einen heftigem Sturm gab.
Die zementartige Asche ist so zäh, dass man sie selbst mit Bürste und Wasserschlauch nicht vom Gehsteig bekommt, und es musste wochenlang immer wieder regnen und schneien, bis der Staub auf den Blättern der Büsche einigermaßen abgewaschen war.
Die Experten sagen, jeder Vulkanausbruch sei anders. Dieser charakterisiert sich durch seine große Aschemenge. Bis Ende Juni hatte der Chaiten bereits einen Kubikkilometer Asche  über die Region verteilt. An einigen Orten nur dünn, an anderen viele Zentimeter. Die einzelnen Partikel sind zu einem sehr hohen Prozentsatz so klein (4mµ) dass sie in die Lungenbläschen eindringen. Sie sind scharfkantig. Es ist gemahlenes Glas.
Bis heute hat der Vulkan seine Tätigkeit nicht eingestellt. Allerdings ist seine Fahne nicht mehr 25 km hoch, sondern zwischen 1-6 km und er hat inzwischen 3 Krater.

Unser allererster Blick morgens geht aus dem Fenster. Ist die Luft rein? Die ersten Wochen sind wir sogar nachts aufgestanden und haben hinaus geschaut. Ist der Himmel klar? Sieht man die gegenüberliegenden Höhenzüge?
Wenn es nicht regnet, steigen wir jeden Morgen ein Stück den Berg hinauf und schauen nach Süden und auch im Laufe des Tages wandert der Blick immer wieder dorthin, von wo der Vulkan uns seine Asche schicken könnte. 
Es gab seit dem 2.Mai immer wieder lautstarke Explosionen des Vulkans, die wir, trotz der Entfernung von etwa 130 km, als Kanonendonner wahrnehmen. Dann laufen wir aus dem Haus und horchen beklommen nach Süden und wissen, wenn der Wind ungünstig steht, dann wird die Luft bald wieder weiß sein, mehr oder weniger gesättigt mit schwebender Asche. Dann sieht es aus wie Nebel, bloß statt Feuchtigkeit schlägt sich Staub nieder. 
An diesen Tagen gehen wir nicht ins Freie und der Hund und die Katzen dürfen ausnahmsweise ins Haus. 
So sieht der Blick aus dem Fenster an aschefreien Tagen aus.


Und so, wenn Asche in der Luft liegt.



Die Koffer sind bis heute gepackt. Das Auto ist immer vollgetankt. Alles ist bereit, um im Notfall innerhalb kurzer Zeit wegfahren zu können. Ich glaube, diese Tatsache beantwortet zum Teil die Frage, wie es uns heute geht.


Erdbeben hin und wieder…
Bald nach unserer Rückkehr aus dem „Exil“ hatte es nachts vier Erdbeben, eines davon in Stärke 5,7. Es war, als sei ein LKW in unser Holzhaus gerast. Dies war der Beginn zahlloser kleiner Beben. Seither haben wir nur wenige Nächte ganz durchgeschlafen. Nicht dass das Haus unentwegt wackelt. Aber unzählig Male knistert und knackt es im Gebälk auf eine ganz typische Art. Dann horchst du gespannt in die Dunkelheit. Bist auf dem Sprung. Was kommt?
Experten schließen nicht aus, dass es zu einem großen Erdbeben kommen könnte. Die Schulen führen Notfallübungen durch. Leute werden geschult für den Ernstfall. Gestern sagte mir eine junge Frau: „Wir haben den sicheren Boden unter den Füssen verloren.“
Viele Menschen überdenken ihr altes Wertesystem. Das Geschehen hat alle irgendwie geprägt.
Jeden Abend schnüren wir aus unserer Alltagskleidung und den Anoraks ein Bündel, stellen es mit den Stiefeln neben die Tür. Gestern Abend hatten wir es zum ersten Mal vergessen. Ein Zeichen der Entspannung? Als ich gegen 5 Uhr aufwachte, fiel mir siedend heiß ein, dass wir unser Bündel nicht gepackt hatten. Ich sprang aus dem Bett und richtete alles her. Ich hätte sonst nicht weiterschlafen können. Auch diese Tatsache mag veranschaulichen, wie es uns geht.
 „Spar Dir nichts Gutes auf für später.
Du kannst eh nichts mitnehmen.“
21.08.2008

Nachsatz im Mai 2013:
Inzwischen sind fünf Jahre vergangen.

Vor 2 Jahren kam es ca. 140 km nördlich von El Bolson zu einem anderen Vulkanausbruch. Der Puyehue bedeckte Städte wie Bariloche und Villa la Angostura teil bis zu 40 cm mit Asche. Weite Teile der Wälder in der Anden sind an der Asche gestorben, seltene Tierarten sind vom Aussterben bedroht. Wirtschaftlich war es ein katastrophler Schlag für die ganze Gegend.

Der Wind stand gut für El Bolson als der Puyehue spuckte, wir blieben weitgehend verschont vom Ascheregen. Aber für den Rest unseres Lebens leidet unsere Gesundheit unter der Flugasche, die der Wind nun aus allen Richtungen in unsere Lungen und Augen bläst.

Im chilenischen Städtchen Chaiten leben inzwischen wieder etwa die Hälfte der Einwohner. Der Rest hat sich in anderen Orten niedergelassen.
In Bariloche und Villa la Angostura geht das Leben weiter und nur wer aufmerksam hinsieht, merkt, dass der "Sand", der das Land bedeckt kein Sand sondern Asche ist. 



Vulkanausbruch Teil 5: ...und zusammen beten...

Was wird´s tun wenn sie nun alle vor ihn treten und zusammen beten…? (aus einem Lied)
Am Pfingstsamstag kam schlagartig eine wunderbare Ruhe über mich. Ich wurde von einem Augenblick zum anderen fast fröhlich.
„Schau, Alejandro, wir müssen diesen Aufenthalt in dieser irrsinnig schönen Gegend genießen. Wenn wir eines Tages wieder heim können, dann hatten wir einen schönen Urlaub. Und wenn nicht, dann haben wir wenigstens noch ein paar angenehme Tage gehabt. Wenn wir das Jetzt nicht genießen, hatten wir bloß Angst und eine große Geldausgabe.“
Ich war selber ganz erstaunt über meinen jähen Gefühlswandel. Alejandro konnte mir nicht so recht folgen. Aber der innere Wandel vollzog sich auch in ihm in den nächsten Stunden.
Nahuel Huapi See bei Villa La Angostura

Am Pfingstsonntag machten wir eine herrliche Wanderung. Nachmittags wurde es dann trüb und es wehte ein eisiger Wind. Wir verkrochen uns in ein gemütliches Café und tranken Capucchinos. Ein herrlicher Luxus.
Die schwarze Wolke war aus unseren Herzen verschwunden. Wir konnten es kaum fassen, dass wir so locker und fröhlich waren. „Wir warten, bis es regnet in Bolson und dann fahren wir wieder heim.“ Äußerlich hatte sich nichts verändert und doch war da plötzlich Hoffnung. Alles war anders.
Später erfuhren wir, dass liebe Freunde, denen ich e-mails geschickte hatte, anderen von unserer Not erzählten, sogar Beter organisiert haben. Bis heute wissen wir nicht im Einzelnen, wer da alles Mitwisser war, wer alles gebetet hat, aber seither schließe ich „unsere Beter“ in meine täglichen Gebete ein und kann ihnen allen versichern:
                                                      Beten hilft.
Habt alle herzlichen Dank, auch für Eure Anfragen über unser Ergehen. Das gibt uns das Gefühl nicht allein zu sein.
Zwei Wochen später sahen wir eine DVD mit dem Pfingstgottesdienst. Es hat mich sehr bewegt, dass der Stammapostel besonders betete für die Menschen in den Katastrophengebieten…für uns nicht nur eine wohlmeinende Gebetsfloskel. 
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Vulkanausbruch Teil 4: Ein wenig wie sterben...

Ein wenig wie sterben...

 Im ersten Frühlicht fuhren wir los: Alejandro, ich und unser Hund Anton.
Zurück blieben alle die kleinen und großen Dinge, die unser bisheriges Leben ausgemacht hatten:  
  •   der bescheidene Hausrat (erst neulich hatte ich mir zum ersten Mal im Leben einen wirklich schönen und wirklich teuren Topf gekauft, den ich nach jedem Gebrauch  auf Hochglanz polierte),  
  • die Früchte der Mühe und Arbeit eines ganzen Sommers: Monatelange Gartenarbeit und mühseliges Brennholzsammeln, komplizierte Hamsterkäufe (wegen der Versorgungskrise, die das Land schon monatelang erschüttert) – erst vor wenigen Tagen hatten wir uns fröhlich auf die Schulter geschlagen, beim Anblick der vollen Kartoffelkiste!)  
  •   unerledigte Angelegenheiten und unbezahlte Rechnungen (werden sie uns den Strom abstellen?)
  •  ausnahmslos alle Werke meines Mannes (Kunstmaler). Jahre der Arbeit, künstlerischer Krisen und Genugtuung, hastig und achtlos unters Bett geschoben. Lebensinhalt  - zugedeckt mit alten Laken.              
  • die Altersversorgung (wir hatten erst vor zwei Jahren hier am Ort in Immobilien investiert)                              
  •  die jahrelangen inneren Kämpfe um mein Hiersein am ungeliebten Ort bejahen zu können. Die ersten kleinen Wurzeln, erneut dem Boden entrissen 
  • das bescheidene Einkommen, das uns nach langen entbehrungsreichen Jahren endlich ein Auskommen gesichert hatte
Villa la Angostura: Das Weiße  am Horizont ist Asche

"Das ist ein wenig wie sterben..."
sagte Alejandro, als wir auf der Landstraße ohne bestimmtes Ziel nach Norden fuhren. „Da bleibt auch alles zurück, was einem Tag um Tag so ungeheuer wichtig war."
Jahr für Jahr liege ich nächtelang wach und grüble über Krebs, Hungersnot, Krieg, Inflation und andere Lebenskrisen; verhunze meine Tage vor-sorge-treffend gegen eine bunte Palette von „Was-passieren-könnte“. Gut schwäbisch halt: Häusle bauen, Altersvorsorge, jegliche Art von Vorrat anlegen und was weiß ich noch alles. Ist ja drollig! Wer hätte daran gedacht? Kommt ein unbedeutender 900 m hoher Hügel daher, der vor etwa 10 000 Jahren mal ein Vulkan war, spuckt in die Luft – und schon leben wir auf der Landstraße. Schon ist unsere Zukunft ungewiss.
Alejandro: „Siehst du, letztendlich bleibt dir nur, was wirklich zählt. Die geistigen Werte. Sie allein sind unverlierbar.“


In einer Pension in V.La Angostura (Neuquen): Bestandaufahme unserer Habseligkeiten

Wir verbrachten neun Tage fort von zuhause, in einfachen Pensionen in Villa La Angostura und Osorno. Dort sahen wir täglich im Fernsehen Menschen, denen es sehr viel schlechter ging als uns. Wir fühlten mit ihnen. Weinten mit. Waren Teil geworden.
In einer Information im Internet über den Vulkanausbruch las ich den Satz: „Die Gegend ist nur dünn besiedelt.“ Als wenn es dadurch weniger tragisch wäre!
Ich war empört. Und doch…hatte ich bisher nicht auch irgendwie die Größe des Unglücks an der Zahl der Opfer gemessen oder an den Millionenbeträgen der materiellen Verluste?


Die ersten Tage unserer freiwilligen Evakuierung waren wir völlig niedergeschlagen, ratlos, bange. Wir gingen stundenlang spazieren mit unserem Anton, der seine Tage und Nächte auf der viel zu kleinen Rückbank des Autos verbringen musste. Da wir nicht wussten, was aus uns werden sollte, versuchten wir so wenig Geld wie möglich auszugeben.

Man erlaubte uns „großzügig“, unser eigenes Frühstück zu essen. Dafür sparten wir 10 Pesos an der Übernachtung. Allerdings gab man uns kein Geschirr und wir hatten natürlich keines mitgebracht. In der Flasche ist Olivenöl aus dem letzten Urlaub.
 Wir verpflegten uns von dem Zeug, das wir daheim hastig zusammengerafft hatten: Möhren,Tomaten, Oliven, Olivenöl, Butter, Sonnenblumenkerne, Rosinen, Thunfisch, 2 harte Eier und ein Rest halbvertrockneter Käse. Nicht gerade lukullisch, nicht gerade abwechslungsreich, aber der Appetit war uns eh vergangen.

Wir sprachen wenig, grübelten viel und dachten nachts an unser Zuhause. An die Pferde. An die Kühe. An die Katzen. An die Kartoffelkiste.
Dann gab es noch etwas Extra- Aufregung, als wir das Auto zu einer kostspieligen Reparatur in die Werkstatt bringen mussten. Deshalb konnten wir an Pfingsten … ach ja, es war Pfingsten…nicht an der Übertragung des Pfingst- Gottesdienstes teilnehmen. 90 Kilometer mit defekten Bremsen und tropfendem Kühler…lieber nicht.

Vulkanausbruch Teil 3: Endlich weg...

Endlich weg...

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich abends zwei stundenlange Anrufe aus dem Ausland bekam, und noch einen am anderen Morgen, die mich nicht nur davon abhielten, weiterhin ziellos durchs Haus zu streichen oder aus dem Fenster zu starren, auf die menschenleere und völlig geräuschlose Straße, sondern mich auch davor bewahrten, völlig in meiner Angst zu versacken. Einen ganz großen Dank an Euch, dass ihr für mich da ward.
Endlich weg…



Am Morgen nach dem Ascheregen rief ich in der Werkstatt an und – oh Wunder - durfte das Auto bringen. Man verstand meine Lage. Es stellte sich heraus, dass es nur eine Kleinigkeit war und schon 20 Minuten später konnte ich wieder nach Hause fahren. 
Jetzt hielt mich nichts mehr in dieser weißen, menschenleeren Stadt. Hellwach und gar nicht mehr verwirrt riss ich alle Schränke auf, kramte unsere zwei Reisetaschen hervor, füllte sie in Windeseile mit warmen Sachen und den „guten“ Kleidern und neuen Schuhen - wie gut, dass wir so wenig besitzen –, packte die wichtigsten Papiere und die Spardose dazu. In einen Sack stopfte ich eines unserer Federbetten und einen Schlafsack.
Ich versuchte nicht zu sehen, was alles da bleiben musste. Das Herz hängt an so vielen unbedeutenden Dingen! Aber es hängt…! -  Mir kam Lots Weib in den Sinn… schnell… schnell… ich hatte keine Zeit zu verlieren, denn über der Stadt hing aufs Neue eine dunkle Wolke und jeden Augenblick konnte es zu spät sein, um das Auto zu beladen. Als ich die Haustür abschloss war mir klar, dass ich eventuell lange nicht mehr zurückkehren konnte. 

Und wenn es NIE wäre???

Als ich im Schritttempo aus der Stadt hinausfuhr, konnte ich die Straße kaum erkennen. Nicht nur, wegen der hochgewirbelten Asche draußen.

Chile: Evakuierung in und um Chaiten, zu Land und zu Wasser. Noch glauben die meisten,

dass sie bald wieder daheim sein werden...













 
Ungewisse Zukunft…
Noch am gleichen Tag beschlossen wir bangen Herzens am anderen Morgen die Farm zu verlassen. Nur wenige Millimeter Asche bedeckten das Land, viel weniger als in der Stadt, aber bei der leisesten Luftbewegung wirbelte dieser scharfe Staub von den Sträuchern und Bäumen. Uns schmerzte der Hals und brannte die Zunge, denn die verschmutzte Luft drang durch alle Ritzen des Holzhauses.

Experten meinten, es sei völlig ungewiss, was auf die Region zukomme. Es könne tagelang oder monatelang Asche regnen. Es bestehe sogar die Möglichkeit, dass es zu einer sehr großen Explosion kommen könne und dann könnten weite Landstriche die nächsten Jahre unbewohnbar sein. Jegliche Vorhersage sei unmöglich.
Wir wollten nicht warten, bis es zu spät wäre.
Bereits in der ersten Nacht nach dem Vulkanausbruch waren die Landstraßen von der Polizei gesperrt gewesen, wegen zu geringer Sichtweite. Das Benzin an den Tankstellen war knapp. Atemschutzmasken gab es nur noch auf dem Schwarzmarkt für den 300 fachen Normalpreis, Wasser wurde in den Läden nur noch eine Flasche pro Mann verkauft, zu horrenden Preisen.
Den ganzen Nachmittag, den Abend und die halbe Nacht brachten wir damit zu, alles für die Abreise vorzubereiten. Lange ist die Liste, was da alles zu bedenken und zu versorgen war…vor allem: die Tiere. 
Wir verstauten noch ein paar Lebensmittel im Auto, einen Kanister Mineralwasser und einen Rucksack mit Anoraks und dicken Strickjacken. Unsere Habe, die zurückblieb, verpackten wir so weit als möglich in Kartons, um sie vor der Asche zu schützen.
Obwohl wir am Vorabend das Auto schon abfahrtsbereit gemacht hatten, standen wir lange vor Tagesanbruch auf. Wir stapelten die Matratzen aufeinander, das Bettzeug dazu und deckten alles ab. Dann standen wir unschlüssig in der Küche herum, und schauten trübsinnig der kleinen Toni zu, die quietschfidel hinter einer Walnuss her flitzte. Für sie war es ein toller Morgen - wie jeder Morgen.
Erst vor wenigen Wochen hatte unser Hund sie fast erfroren aufgestöbert, und wir hatten das winzige Katzenbaby mithilfe des Tierarztes halbwegs aufgepäppelt. Würde sie überleben? Wir stellten den Katzen den Sack mit Futter in den Schuppen. Sie würden in weniger als einer Woche alles gefressen haben. Und dann? Konnte die Toni schon Mäuse fangen? Sie war noch so klein.
Die Kühe und Pferde blieben auf den Weiden sich selbst überlassen. Würden sie das Wasser aus dem Bach trinken können? Würden sie Atemprobleme bekommen, erblinden? Fressen ohne Asche finden? Würden wir sie wiedersehen?

...aber nur wenige Tage später gibt es für die Einwohner keine Heimat mehr. Wasser - und Schlammfluten haben von den 1500 Häusern Chaitens 500 völlig zerstört.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          









Chaiten: Häuser, Möbel, Hausrat, Spielzeug, Fotos, Papiere, Tiere, Arbeit, Hoffnungen, Träume, … Heimat gewesen für tausende Männer, Frauen und Kinder.
 




















...

Vulkanausbruch Teil 2 : Nichts wie weg...

Nichts wie weg...

Hunderttausende in Chile und Argentinien werden noch jahrelang auf die eine oder andere Art die Folgen des Ausbruchs des Vulkans Chaitén (Chile) verspüren. Viele Menschen sind ungleich mehr betroffen als wir, die Bevölkerung von El Bolsón (Argentinien), und doch hat sich auch für uns am 2. Mai 2008 das Leben völlig unerwartet verändert.

Chile: Kurz nach dem Ausbruch des Vulkans Chaiten.


Nach 10 000 Jahren Schlaf…

brach die Erde auf und die 5000 Einwohner der chilenischen Stadt Chaitén, nur 10 km vom Vulkan entfernt, verloren alles, als sie am 4. Mai Hals über Kopf den Ort verlassen mussten. In Minuten mussten sie alles, was sie sich erarbeitet hatten und was Ihnen am Herzen lag, was ihr Leben ausmachte, zurücklassen. Über 1000 Katzen und Hunde, unzählige Hühner, Pferde, tausende Rinder und Schafe blieben sich selbst überlassen und viele gingen schließlich zu Grunde.
Die ersten Tage nach dem Ausbruch war unsere ach so heile Welt nur etwas angekratzt,  – noch waren es die „Anderen“, die unter dem Ascheregen kaum atmen konnten. Selbstverständlich taten uns die Betroffenen sehr leid, und sie waren den ganzen Tag in unseren Gedanken. Selbstverständlich machte ich mir besondere Sorgen um unsereFreunde und Glaubensgeschwister in der Stadt Esquél. Mehrere Zentimeter Asche, die der Vulkan über 25 Kilometer hoch in
den Himmel schleuderte, bedeckten bereits die Stadt und weite Landstriche. Selbstverständlich hatten wir im Grunde gar keine Ahnung, was es wirklich bedeutete… bis am fünften Tag des Vulkanausbruchs der Wind die Asche auch in unsere Stadt brachte.

In kürzester Zeit war alles bedeckt mit dieser rauen, weißen Schicht, die unser Trinkwasser ungenießbar und die Luft zum Atmen untauglich macht , alles rosten lässt, unsere Haut und unsere Augen reizt. Die Bevölkerung wurde über Radio gebeten, die Häuser nur im Notfall zu verlassen, und dann nur mit Atemmaske und Schutzbrille, die Haut sorgfältig bedeckt. Wir sollten alle Behälter mit Trinkwasser füllen, denn ab Mitternacht würde unser Wasser verseucht sein. Niemandem war klar, was damit auf uns alle zukam, wie wir damit umzugehen hatten; es herrschte völlige Verwirrung auf allen Seiten.
Nichts wie weg…

Jeder Mensch hat seine ihm eigene Art, wie er die Dinge erlebt. Ich war zu jenem Zeitpunkt vollkommen allein und auf mich gestellt, fühlte mich hilflos preisgegeben. Ich wollte nur weg aus der Stadt, weg von dem leise rieselnden Staub, weg aus der Stille, die mich zu ersticken drohte. Ich wollte zu meinem Mann, der sich 25 km außerhalb auf der Farm befand, auf der wir zurzeit arbeiten und leben.
Futaleufu (Chile): Es ist ja so wenig, was sie mitnehmen können.

Ich war in jenen Tagen in unserem Haus in der Stadt, weil ich Besorgungen zu machen hatte, und wir einen Wasserrohrbruch vor dem Haus hatten, außerdem das Auto dringend in die Werkstatt musste. Sollte ich die Fahrt trotzdem riskieren? Und wenn ich mit dem Wagen liegen blieb? Obendrein hatte ich keinen Schlüssel für die Einfahrt der Farm. Ich hätte die 300 Meter vom Tor zum Haus zu Fuß gehen müssen, ungeschützt, und ich hatte keine Ahnung, wie ich alles antreffen würde. Obwohl es auf jeden Fall vernünftiger war zu bleiben, verbrachte ich Stunden damit, fieberhaft zu überlegen, was ich tun soll. Alles in mir war auf der Flucht.
Die Stunden krochen dahin, während ich ziellos im Haus umhergeisterte; treppauf, treppab; 
mich hierhin und dorthin setzte; 
zwischen den geschlossenen Fensterläden auf die stummgewordene Welt hinaus lugte;
mich an den Schreibtisch hockte, um Unterlagen zu ordnen und doch keine Sekunde einen klaren Gedanken fassen konnte; 
immer wieder zum Telefon griff und 
dann doch keine Nummer wählte, weil die Lieben in der Ferne meine Lage eh nicht verstanden hätten ( ich kapierte sie ja selber nicht); 
unentwegt stumm, laut oder leise betete; 
mir tausend Mal vor Augen hielt: „Glaub nur feste, dass das Beste über dir beschlossen sei…“; 
pausenlos grübelte, warum gerade jetzt das Auto streiken musste und mir die Werkstatt erst in drei Tagen einen Termin geben konnte; warum gerade jetzt die Wasserzufuhr zu unserem Haus unterbrochen war und ich noch nicht einmal verschmutztes Wasser hatte; warum ich gerade jetzt in der Stadt und so furchtbar allein war.
Fort, nur fort von hier! 
Aber wie und wann?
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Vulkanausbruch 1. Teil

Prolog


Tagebuchauszug:                                                          03.05.2008 00:38
Ein langer Tag liegt hinter uns. Mit Staunen stelle ich fest, dass Mitternacht schon vorbei ist.
Wir haben gerade einen Rucksack gepackt mit warmen Klamotten, Anorak, Autopapieren und unser gesamtes Bargeld. Die Gummistiefel und der Rucksack stehen draußen an der Haustür bereit…alle Hindernisse auf dem Weg zur Tür sind beseitigt, falls wir kein Licht auf der Flucht haben. Es sind nun fast 24 Std. vergangen, seit der Vulkan Chaiten ausgebrochen ist. 

Gegen Mittag war der weiße „Pilz“ im Süden über den Berggipfeln in den strahlend blauen Himmel aufgestiegen. In weniger als 12 Stunden war dies der zweite Ausbruch des Chaiten. Als dunkelblaue Zunge schob sich die Aschewolke über den wolkenlosen Herbsthimmel auf uns zu. 
Wir saßen auf einem Baumstumpf auf einer Anhöhe mit weitem Blick ins Land hinaus und beobachteten beklommen wie es immer dunkler und kühler und schliesslich sehr kalt wurde und einige Berge allmählich hinter einer bläulichen Wand verschwanden. „Stelle dir vor“, sagte Alejandro, „was wäre, wenn diese Wolke giftigen wäre. Was würden wir dann machen?“


Erste Aschewolke zieht über uns weg. 14.30 Uhr
Beim Mittagessen hörten wir im Radio den Aufruf, sich mit Trinkwasser zu versorgen. Wir ließen die halb vollen Teller stehen und fuhren mit dem Auto die 20 km von der Farm, auf der wir einhüten, in die Stadt. Wir kauften mehrere Kanister Trinkwasser, tankten für alle Fälle den Wagen voll, und bevor wir wieder auf die Farm zurückkehrten, hielten wir an unserem eigenen Haus an, um etwas Gemüse und Salat aus dem Garten mitzunehmen. Inzwischen war der Himmel wieder strahlend blau.


Die zweite Aschewolke zieht auf uns zu. 17.30 Uhr
Abends hörten wir im Radio, dass alle Bundesstraßen südlich unserer Stadt wegen dem starken Aschenregen, der inzwischen über weite Landstriche – nur 40 km von uns -niederging, gesperrt worden waren. Es wurde empfohlen, alle Brunnen und Wasserbehälter abzudecken. Auf der Farm sind wir auf das Wasser aus einem Sumpf oberhalb des Hauses angewiesen. Sollte die Asche auch hierher kommen, konnten wir eine Verseuchung unseres Wassers nicht verhindern. Vorsichtshalber füllen wir alle erreichbaren Eimer, Töpfe, Schüsseln und Kannen mit Wasser.
Kurz vor dem Schlafengehen saßen wir noch bei einer Tasse Tee beieinander und ließen die Tagesereignisse an uns vorüberziehen, als plötzlich ein Grollen und Knattern zu hören war. Wir stürmen ins Freie. Das Grollen und Knattern kommt näher und näher, wird lauter, scheint schließlich von überall her zu kommen, ja als käme es aus der eigenen Brust… Wir halten uns gegenseitig fest und schauen zum sternenübersäten Himmel hinauf, zittern in der frostigen Nachtluft und das nicht nur wegen der Kälte.  
Als wir wieder ins Haus zurück gingen, packten wir unsere Klamotten und die Anoraks in einen Rucksack…und alle Hindernisse sind beiseite geräumt, so dass wir auch im Dunkeln fliehen und uns im Notfall draußen anziehen können. Falls die Erde bebt – heute Nacht.
05.05.2008 abends
Die vergangenen Tage verliefen für uns normal. Allerdings wurden im Radio immer wieder Verhaltensregeln durchgegeben für den Fall, dass auch über unsere Stadt Ascheregen kommen würde. Heute war ich schon früh morgens allein in die Stadt gefahren und hatte den ganzen Montag mit allerlei Besorgungen zugebracht und immer noch blieb sehr viel zu erledigen. Außerdem hatte ich Probleme mit dem Auto. In der Werkstatt wurde mir gesagt, dass erst in drei Tagen ein Termin frei sei. So beschloss ich, mehrere Tage in unserem Haus in El Bolson zu bleiben. Alejandro kam auf der Farm auch ohne mich aus.
06.05.2008 gegen 11 Uhr
Die Liste meiner heutigen Verpflichtungen war lang. Normalerweise stelle ich mein Fahrzeug irgendwo in der Stadt ab, und mache alle Wege zu Fuß. Heute jedoch, obwohl ich befürchtete, dass mein Wagen liegen bleiben würde, wollte ich nicht riskieren, zu Fuß von der Asche überrascht zu werden und fuhr alles mit dem Auto. 
Schon seit dem frühen Morgen lag nämlich ein merkwürdiger, sehr dichter Dunst über der Stadt, der im Süden teils blau teils gelb gefärbt war und man konnte selbst die Hügel, die innerhalb der Stadt liegen, nicht mehr sehen. Es roch scharf nach Schwefel. Trotzdem tat jedermann auf der Straße so, als sei alles ganz normal wie immer. Ich jedenfalls beeilte mich sehr und beobachtete ständig diesen Dunst, der sich unaufhaltsam über uns verdichtete und sich von Süden her wie eine Wand auf uns zuschob.
Plötzlich schien es zu schneien. Ich erreichte gerade noch das Auto. Schnell fuhr ich heim. Mir saß ein riesengroßer Kloß im Hals…




Vulkan Chaiten:

So sicher ist unsere Sicherheit

Fast täglich erfahren wir aus den Medien von irgendwelchen Katastrophen. „Selbstverständlich“ betrifft es immer die anderen und passiert meist fern von unserer persönlichen Welt. Unser Interesse und unsere Betroffenheit überdauern meist die nächste Neuigkeit nicht.
Diese Katastrophe, von der ich hier erzähle, kann nicht einmal mit Toten aufwarten. Sie hat die Welt nicht erschüttert. Hätte ich davon in irgendeiner Zeitung gelesen, hätte ich wahrscheinlich gar nicht weiter darüber nachgedacht. Aber dieses Mal waren es nicht nur Nachrichten von Dingen, die weit fort geschahen; von Menschen, mit denen wir nichts zu tun hatten; die fassungslos waren  über das, was über sie herein gebrochen war, die weinten, über alles das, was sie zurücklassen mussten; diesmal hatte es auch uns getroffen, mitten hinein in unsere kleine Alltagswelt. Ihr Schmerz, ihre Angst, ihre Ratlosigkeit war dieses Mal auch die unsere.
An einem strahlend blauen Herbsttag hatte sich der Himmel plötzlich verfinstert und nachts rumorte und zitterte die Erde. Seit jenem Tag packen wir jeden Abend unsere Kleider zu einem Bündel, griffbereit neben der Tür; eine Tasche mit den wichtigsten Papieren bleibt immer im Auto und nur wenige Nächte haben wir seitdem durchgeschlafen.

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