Mittwoch, 31. August 2011

Vulkanausbruch Teil 4: Ein wenig wie sterben...

Ein wenig wie sterben...

 Im ersten Frühlicht fuhren wir los: Alejandro, ich und unser Hund Anton.
Zurück blieben alle die kleinen und großen Dinge, die unser bisheriges Leben ausgemacht hatten:  
  •   der bescheidene Hausrat (erst neulich hatte ich mir zum ersten Mal im Leben einen wirklich schönen und wirklich teuren Topf gekauft, den ich nach jedem Gebrauch  auf Hochglanz polierte),  
  • die Früchte der Mühe und Arbeit eines ganzen Sommers: Monatelange Gartenarbeit und mühseliges Brennholzsammeln, komplizierte Hamsterkäufe (wegen der Versorgungskrise, die das Land schon monatelang erschüttert) – erst vor wenigen Tagen hatten wir uns fröhlich auf die Schulter geschlagen, beim Anblick der vollen Kartoffelkiste!)  
  •   unerledigte Angelegenheiten und unbezahlte Rechnungen (werden sie uns den Strom abstellen?)
  •  ausnahmslos alle Werke meines Mannes (Kunstmaler). Jahre der Arbeit, künstlerischer Krisen und Genugtuung, hastig und achtlos unters Bett geschoben. Lebensinhalt  - zugedeckt mit alten Laken.              
  • die Altersversorgung (wir hatten erst vor zwei Jahren hier am Ort in Immobilien investiert)                              
  •  die jahrelangen inneren Kämpfe um mein Hiersein am ungeliebten Ort bejahen zu können. Die ersten kleinen Wurzeln, erneut dem Boden entrissen 
  • das bescheidene Einkommen, das uns nach langen entbehrungsreichen Jahren endlich ein Auskommen gesichert hatte
Villa la Angostura: Das Weiße  am Horizont ist Asche

"Das ist ein wenig wie sterben..."
sagte Alejandro, als wir auf der Landstraße ohne bestimmtes Ziel nach Norden fuhren. „Da bleibt auch alles zurück, was einem Tag um Tag so ungeheuer wichtig war."
Jahr für Jahr liege ich nächtelang wach und grüble über Krebs, Hungersnot, Krieg, Inflation und andere Lebenskrisen; verhunze meine Tage vor-sorge-treffend gegen eine bunte Palette von „Was-passieren-könnte“. Gut schwäbisch halt: Häusle bauen, Altersvorsorge, jegliche Art von Vorrat anlegen und was weiß ich noch alles. Ist ja drollig! Wer hätte daran gedacht? Kommt ein unbedeutender 900 m hoher Hügel daher, der vor etwa 10 000 Jahren mal ein Vulkan war, spuckt in die Luft – und schon leben wir auf der Landstraße. Schon ist unsere Zukunft ungewiss.
Alejandro: „Siehst du, letztendlich bleibt dir nur, was wirklich zählt. Die geistigen Werte. Sie allein sind unverlierbar.“


In einer Pension in V.La Angostura (Neuquen): Bestandaufahme unserer Habseligkeiten

Wir verbrachten neun Tage fort von zuhause, in einfachen Pensionen in Villa La Angostura und Osorno. Dort sahen wir täglich im Fernsehen Menschen, denen es sehr viel schlechter ging als uns. Wir fühlten mit ihnen. Weinten mit. Waren Teil geworden.
In einer Information im Internet über den Vulkanausbruch las ich den Satz: „Die Gegend ist nur dünn besiedelt.“ Als wenn es dadurch weniger tragisch wäre!
Ich war empört. Und doch…hatte ich bisher nicht auch irgendwie die Größe des Unglücks an der Zahl der Opfer gemessen oder an den Millionenbeträgen der materiellen Verluste?


Die ersten Tage unserer freiwilligen Evakuierung waren wir völlig niedergeschlagen, ratlos, bange. Wir gingen stundenlang spazieren mit unserem Anton, der seine Tage und Nächte auf der viel zu kleinen Rückbank des Autos verbringen musste. Da wir nicht wussten, was aus uns werden sollte, versuchten wir so wenig Geld wie möglich auszugeben.

Man erlaubte uns „großzügig“, unser eigenes Frühstück zu essen. Dafür sparten wir 10 Pesos an der Übernachtung. Allerdings gab man uns kein Geschirr und wir hatten natürlich keines mitgebracht. In der Flasche ist Olivenöl aus dem letzten Urlaub.
 Wir verpflegten uns von dem Zeug, das wir daheim hastig zusammengerafft hatten: Möhren,Tomaten, Oliven, Olivenöl, Butter, Sonnenblumenkerne, Rosinen, Thunfisch, 2 harte Eier und ein Rest halbvertrockneter Käse. Nicht gerade lukullisch, nicht gerade abwechslungsreich, aber der Appetit war uns eh vergangen.

Wir sprachen wenig, grübelten viel und dachten nachts an unser Zuhause. An die Pferde. An die Kühe. An die Katzen. An die Kartoffelkiste.
Dann gab es noch etwas Extra- Aufregung, als wir das Auto zu einer kostspieligen Reparatur in die Werkstatt bringen mussten. Deshalb konnten wir an Pfingsten … ach ja, es war Pfingsten…nicht an der Übertragung des Pfingst- Gottesdienstes teilnehmen. 90 Kilometer mit defekten Bremsen und tropfendem Kühler…lieber nicht.